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Küchenprosa

Alte Küche Eremitage Blaca Brac Kroatien, Foto: Wolfgang Schneider


Die Küche
Das mit der Küche ist so eine Sache. Ursprünglich nichts als eine mit Steinen ausgekleidete offene Feuerstelle bot sie Wärme, Licht und warme Speisen. Bis heute ist sie der wichtigste Ort in Haus und Wohnung. Gemeinsam kochen und backen, geselliges Beisammensein, der beste Platz auf gemütlichen Festen ist meist die Küche. Die Getränke sind nah bei und es gibt immer etwas zu essen. Hier wird Salat, Gemüse und Obst geschnibbelt, werden Marmeladen und Suppen gekocht, so mancher Braten gebrutzelt, wird Mehl gemahlen, Kuchen und Brot gebacken oder die eine oder andere Speise angebrannt. Auch wurde nicht nur das eine oder andere Kind in der Küche geboren, sondern auch so manche wichtige Entscheidung getroffen. Und, in jeder Küche wird mit Wasser gekocht, aus Tassen getrunken und mit einer Kelle geschöpft. Heute hat die Küche nur noch selten eine Feuerstelle mit offener Flamme, sie brilliert mit Ceran- und Induktionskochfeld oder gekonnt gehaltener Gasflamme. Doch ist sie fortwährend ein Ort der wiederkehrenden Tätigkeiten geblieben. Kaum ist ein Gericht gekocht und verzehrt, der Tisch abgedeckt, die Küche geputzt und das Geschirr gespült, beginnt der Speisenzubereitungs-reigen erneut. Er ist ohne Ende. So auch haben die kleinen Geschichten, vielleicht auch hier und da ein Rezept, in der Küchenprosa ein offenes Ende. In Ihren Phantasien kochen Sie das nächste Gericht, das Ende oder den Fortgang einer Geschichte.

Ich freue mich auf Ihre Idee im Kommentarfeld. Schreiben Sie mir. Bitte geben Sie an zu welcher Geschichte Ihre Idee gehört.


Küchenprosa - Frauen


by Thomas Gainsborough
Der Brief

Krachend stoben Scherben und feinste Splitter Mutters Porzellanteller von der Wand in die tiefsten Winkel der Küche. Jahre später fand ich noch einige von ihnen hinter Herd und Küchenschrank. Es folgten die Tasse und die große Salatschüssel. Die Terrine verschonte sie, sie war die einzige, die wir noch hatten. Mutter hatte die Küchentür von innen verschlossen und tobte, wie eine wütende Frau nur toben konnte. Großmutter bügelte die Tischwäsche, Mutters Schwester faltete sie sorgfältig und schrankgerecht, ich besprengte Geschirrtücher mit lauwarmem Wasser und meine Schwester ersetzte fehlende Knöpfe an Bett- und Kissenbezügen. Wir sprachen kein Wort. Das Zischen des heißen Bügeleisens beim Aufsetzen auf den feuchten Stoff und der Duft der frisch gebügelten Wäsche umhüllten uns in der tobenden Stille mit dem bedrückenden Dunst der Gewissheit auch diese Aufgabe meisten zu können. Ich atmete langsam und konzentriert. Auch Großmutter und meine Schwester waren mehr auf ihren Atem bedacht, das Bügeln, Befeuchten, Nähen und Falten war handübliche Nebensache. Dann wurde es still in der Küche. Wir sahen uns an, lauschten, hielten inne, für einen Augenblick, und arbeiteten weiter. Nach einer Weile weckte uns der Duft von Gebackenen und frisch gebrühtem Kaffee. Der Schlüssel drehte sich im Schloss, Großmutter schaltete das Bügeleisen aus. Meine Schwester schnitt den Nähfaden ab und legte die Nadel zurück in die kleine Schachtel. Meine Tante legte das letzte Geschirrtuch auf den Stapel zu den anderen und ich goss das restliche Wasser aus der kleinen Schüssel in den Topf des Gummibaums. Mutter öffnete die Tür und lächelte uns mit rotem Gesicht und verweinten Augen entgegen. Sie hatte den Küchentisch mit ihrem schönsten Porzellan und den bestickten Leinenservietten gedeckt. Auch die weißen Kerzen in den Kristallhaltern hatte sie entzündet und lud uns zu Kaffee und Waffeln mit Sahne und Himbeeren aus unserem Garten. Mutter wirkte gefasst und zerbrechlich, ihr welliges Haar hatte sie aus ihrem Gesicht gestrichen. Ein leises Grollen unter ihrer Haut überschlich mich als sie mich in ihre Arme schloss, mir liebevoll über mein Haar strich und versicherte, es werde alles gut. Sie roch nach Traurigkeit und aufgeräumter Küche. Wir setzten uns zu Tisch. Noch immer sprachen wir kein Wort. Die Nachmittagssonne tränkte den Raum mit sommerlichem Licht und warf die Blumenranken der Gardine in Schatten an die Wand. Der Kaffee floß dampfend in die Tassen und meine Schwester verteilte eine Waffel auf jeden Teller, Sahne und Himbeeren nahm sich jede selbst. Großmutter hielt wie immer Untertasse und Tasse in der rechten Hand und schloss ihre Augen bei jedem Schluck. Die Silberlöffel ließen die gefüllten Tassen beim Verrühren der Sahne in  kurzem dumpfen Klang erschaudern. Wir aßen und tranken und besprachen die Beerenernte für den nächsten Tag. Dann stand Mutter auf, öffnete die linke Tür des Küchenbuffetts, griff hinein, kam zurück und legte einen geöffneten Brief im amtsfarbenen Kuvert auf den Tisch.

25. September 2013, GvF



Küchenprosa - Mann


Der Mann in der Küche
GvF

Zur eines Wintertages Mittagszeit stand er vor mir, mit ernstem Blick. Sah mir fest in die Augen und zog mit einem energischen zipp den metallenen Reißverschluss seiner Hose auf. Seine kräftigen kurzen Finger arbeiteten gezielt. "Siehst Du das?!" Er schob seinen schwarz glänzenden Slip bis zur Mitte seiner dunkel behaarten Oberschenkel. "Weißt Du was das ist?" Mein Blick wanderte zwischen seinem Gesicht und dem ruhenden Gemächt in seiner Hand. "Sieh hin!" Sein linker Zeigefinge wies konsequent die Richtung. "Ich bin ein Mann! Verstehst Du! Ein Mann! Und diese angebliche Tatsache, alle Embryos seinen erst weiblich und später erst bilde sich ein Penis, das ist Quatsch! Weißt Du, absoluter Quatsch! Du bist wohl nie zur Schule gegangen? Es verhält sich nämlich genau umgekehrt. Allen Embryos wächst ein Penis und wenn es ein Mädchen wird stülpt er sich nach Innen. Du hast keine Ahnung... meinst nur schlauer zu sein, weil Du studiert hast. Damit das jetzt klar ist. Ich bin ein Mann!" Seine grünen Augen leuchteten ernst über der runden Nase und der zurückgenommenen Oberlippe. Sorgfältig verpackte er seine leiblichen Utensilien, verlieh mit einem Aufstampfen des rechten Fußes seiner Rede Nachdruck und verließ Küche, Herd und mich. Für eine Weile.


20. September 2013, GvF



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