by Thomas Gainsborough |
Der Brief
Krachend stoben
Scherben und feinste Splitter Mutters Porzellanteller von der Wand in die
tiefsten Winkel der Küche. Jahre später fand ich noch einige von ihnen hinter
Herd und Küchenschrank. Es folgten die Tasse und die große Salatschüssel. Die
Terrine verschonte sie, sie war die einzige, die wir noch hatten. Mutter hatte
die Küchentür von innen verschlossen und tobte, wie eine wütende Frau nur toben
konnte. Großmutter bügelte die Tischwäsche, Mutters Schwester faltete sie
sorgfältig und schrankgerecht, ich besprengte Geschirrtücher mit lauwarmem
Wasser und meine Schwester ersetzte fehlende Knöpfe an Bett- und Kissenbezügen.
Wir sprachen kein Wort. Das Zischen des heißen Bügeleisens beim Aufsetzen auf
den feuchten Stoff und der Duft der frisch gebügelten Wäsche umhüllten uns in
der tobenden Stille mit dem bedrückenden Dunst der Gewissheit auch diese
Aufgabe meisten zu können. Ich atmete langsam und konzentriert. Auch Großmutter
und meine Schwester waren mehr auf ihren Atem bedacht. Das Bügeln, Befeuchten,
Nähen und Falten war handübliche Nebensache. Dann wurde es still in der Küche.
Wir sahen uns an, lauschten, hielten inne, für einen Augenblick, und arbeiteten
weiter. Nach einer Weile weckte uns der Duft von Gebackenen und frisch
gebrühtem Kaffee. Der Schlüssel drehte sich im Schloss, Großmutter schaltete
das Bügeleisen aus. Meine Schwester schnitt den Nähfaden ab und legte die Nadel
zurück in die kleine Schachtel. Meine Tante legte das letzte Geschirrtuch auf den
Stapel zu den anderen und ich goss das restliche Wasser aus der kleinen
Schüssel in den Topf des Gummibaums. Mutter öffnete die Tür und lächelte uns
mit rotem Gesicht und verweinten Augen entgegen. Sie hatte den Küchentisch mit
ihrem schönsten Porzellan und den bestickten Leinenservietten gedeckt. Auch die
weißen Kerzen in den Kristallhaltern hatte sie entzündet und lud uns zu Kaffee
und Waffeln mit Sahne und Himbeeren aus unserem Garten. Mutter wirkte gefasst
und zerbrechlich, ihr welliges Haar hatte sie aus ihrem Gesicht gestrichen. Ein
leises Grollen unter ihrer Haut überschlich mich als sie mich in ihre Arme
schloss, mir liebevoll über mein Haar strich und versicherte, es werde alles
gut. Sie roch nach Traurigkeit und aufgeräumter Küche. Wir setzten uns zu
Tisch. Noch immer sprachen wir kein Wort. Die Nachmittagssonne tränkte den Raum
mit sommerlichem Licht und warf die Blumenranken der Gardine in Schatten an die
Wand. Der Kaffee floß dampfend in die Tassen und meine Schwester verteilte eine
Waffel auf jeden Teller, Sahne und Himbeeren nahm sich jede selbst. Großmutter
hielt wie immer Untertasse und Tasse in der rechten Hand und schloss ihre Augen
bei jedem Schluck. Die Silberlöffel ließen die gefüllten Tassen beim Verrühren
der Sahne in kurzem dumpfen Klang
erschaudern. Wir aßen und tranken und besprachen die Beerenernte für den
nächsten Tag. Dann stand Mutter auf, öffnete die linke Tür des Küchenbuffetts,
griff hinein, kam zurück und legte einen geöffneten Brief im amtsfarbenen Kuvert
auf den Tisch.
25. September
2013, ⓒ GvF